Brettrippenschalen

Brettrippenschalen

Leichtes Flächentragwerk aus Holz


Leichtigkeit und einfache Ausführung

Schalen in Brettrippenbauweise (Brettrippenschalen) eröffnen dem Planer die Möglichkeit, die positiven Eigenschaften von Holz mit den Vorteilen von Schalentragwerken zu vereinen. Die Brettrippenbauweise wurde von Prof. Julius Natterer entwickelt und bietet vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Nach ersten Erfahrungen mit verschraubten Holzrippen Ende der 60er Jahre wurde die Brettrippenbauweise zu einer interessanten Alternative für weit gespannte Dächer. Sie begeistert sowohl Fachleute als auch Laien durch ihre Leichtigkeit, Formvielfalt und einfache Ausführung.

 


Verwebte Bretter

Die Konstruktion ist ein netzartiges Stabtragwerk aus sich kreuzenden Holzrippen. Die Holzrippen bestehen aus mehreren miteinander verbundenen Brettlagen, die wechselseitig „verwoben“ werden. Es entsteht so eine gekrümmte Gitternetzstruktur.

An den Kreuzungsknoten ist nur jedes zweite Brett durchlaufend. Da nur jeweils jede zwei Brettlage durchgehend ist, entstehen Zwischenräume, die durch kurze Füllbretter aufgefüttert werden.

Zur Verbindung der Brettlagen scheidet eine starre Leimverbindung meist aus, da auf den Baustellen die für das Leimen erforderlichen klimatischen Voraussetzungen meist nicht zu gewährleisten sind. So werden mechanisch nachgiebige Verbindungsmittel bevorzugt. Allerdings muss im Vergleich zu einem verleimten Querschnitt eine zum Teil nicht unerhebliche Abminderung der Biegesteifigkeit in Kauf genommen werden.

Die Brettlagen im Rippenbereich werden mit Holzschrauben oder Nägel verbunden. Die Verbindung in den Kreuzungspunkten erfolgt durch Passbolzen.

Das Gitternetz lagert umlaufend auf steifen Randgliedern und wird durch eine Schalung ausgesteift.


Konstruktion und Tragwirkung

Eine Brettrippe besteht zumeist aus vier bis sechs Brettlagen, die miteinander verbunden werden. Zu beachten ist, dass der Steifigkeitsgewinn einer Brettrippe mit zunehmender Anzahl von Brettlagen überproportional abnimmt. Folglich lässt sich die Rippensteifigkeit durch eine Erhöhung der Anzahl der Brettlagen nur bedingt beeinflussen. Die Brettdicken werden in der Regel von 20 mm bis zu 45 mm gewählt. Sie sind abhängig vom minimalen Krümmungsradius der Rippen. Durch die Zwangskrümmung der Bretter beim Einbau entstehen Biegespannungen, die die mögliche Brettdicke begrenzen. In der Regel werden Radien zwischen dem 500- bis 1000-fachen der Brettdicken gewählt. Die Brettbreite variiert von 80 mm bis zu 160 mm.

Die Füllbretter dienen in erster Linie zur Schubkraftübertragung zwischen den durchlaufenden Brettern. Ihr Beitrag zur Erhöhung der Steifigkeit des Querschnitts beschränkt sich auf die Eigenanteile ihrer Biege- und Torsionssteifigkeiten. Ihr Betrag zur Normalkraftabtragung, verbunden mit einer Erhöhung der Dehnsteifigkeit und einer Berücksichtigung der Steineranteile ist vernachlässigbar. Aufgrund der freien Verschieblichkeit der Enden in Längsrichtung, ihren kurzen Längen und der baupraktisch geringen Fugensteifigkeit gegenüber der Dehnsteifigkeit entstehen in den Füllbrettern nur geringe Normalkräfte. Brettrippenschalen sind hochgradig statisch unbestimmt.  In Bereichen höherer Lasten wird das Gitternetz verdichtet. Dadurch wird auch der Kraftverlauf optisch nachvollziehbar. Die Randglieder sind verhältnismäßig steif auszubilden. Hierfür eignen sich beispielsweise Träger aus Stahl oder Brettschichtholz. Die Lagerung der Brettrippenschale erfolgt punktuell oder linear. Rippen, die auf punktuelle Lager treffen, weisen Lastkonzentrationen auf. In Auflagerbereichen kann ebenfalls eine Verdichtung der Rippenstruktur erforderlich werden. Ein oder zwei diagonal angeordnete Brettlagen werden zur Aussteifung montiert. Diese Brettlagen sind zugleich Dachschalung und können geschlossen oder auf Lücke verlegt werden.

 

Aufgrund der filigranen und damit weichen Form sowie der durch Druckkräfte geprägten Lastabtragung ist eine Berechnung am verformten System nach Theorie II. Ordnung zwingend erforderlich. 


"Soziales"  Tragverhalten

Sowohl innerhalb der einzelnen Rippen als auch in den Kreuzungspunkten weisen die Verbindungen große Nachgiebigkeiten auf. Das Tragwerk besitzt daher sehr hohe Lastumlagerungspotentiale innerhalb der Brettlagen sowie zwischen benachbarten Rippen. Ähnlich wie bei verleimtem Brettschichtholz werden dadurch die Auswirkungen der Streuung der Festigkeiten und der Steifigkeit vermindert. Das Tragverhalten kann als „sozial“ bezeichnet werden.  Ein progressiver Kollaps wird somit verhindert.


Herstellung

Für die Montage der Brettrippenschalen hat sich die Verwendung eines Lehrgerüsts durchgesetzt. Bei der Herstellung wird zunächst die Lage der Rippen auf dem Leergerüst eingemessen und die erste Brettlage auf dem Leergerüst positionsgetreu befestigt. Danach werden die restlichen Brettlagen wechselseitig verlegt und mit Verbindungsmitteln in einem Abstand von 15 bis 20 cm miteinander verschraubt oder vernagelt.

Bei der Montage der ersten Brettrippenschale, dem Polydôme auf dem Campus der ETH Lausanne, wurde der Gitterrost zunächst flach auf dem Boden aufgelegt und anschließend durch Hochziehen an aufgestellten Rahmen in Form gebracht und an den Auflagerpunkten verankert. Dann erfolgte die Verschraubung der Brettlagen.


Formfindung und Geometrieentwicklung

Ein Schalentragwerk entfaltet seine optimale Tragwirkung im Membranspannungszustand. Das bedeutet, dass in der Schale ausschließlich Normalspannungen in Ring- und in Meridianrichtung auftreten. Biegespannungen existieren in diesem Fall nicht. Dieser Zustand wird bei einem Tragwerk mit einer vorgegebenen geometrischen Form nur für ein bestimmtes Lastbild erreicht. Bei Stäben entspricht diese ideale geometrische Form der Stützlinie. Für Schalen erhält man die Membranform für ein bestimmtes Lastbild durch das Aufspannen eines Seilnetzes oder einer Seifenhaut zwischen den als starr angenommenen Randgliedern. Somit kann bei einer biegesteifen Schale nur eine einzige geometrische Form ein bestimmtes Lastbild optimal abtragen. In Realität wirken auf ein Bauwerk jedoch mehrere unterschiedliche Lastbilder ein. Daher kann die Festlegung auf eine bestimmte Geometrie immer nur einen Kompromiss bedeuten.

Wesentliche Voraussetzung bei der Herstellung der Rippen ist, dass die einzelnen Bretter nicht um die starke Achse gebogen werden können. Nur Biegung um die schwache Achse sowie Verdrillung um die Längsachse sind möglich. Das erfordert zwingend, dass die Rippenachsen jeweils auf den geodätischen Linien, also auf den kürzesten Verbindungslinien zwischen zwei Punkten auf der Schalenoberfläche, liegen. Die Kurvennormale stimmt in jedem Punkt mit der Flächennormale überein. Die Ermittlung der Achslage für Brettrippen und Randglieder erfolgt bei einfachen Geometrien mittels CAD-Programmen. Bei freien Geometrien muss die Achslage aufwendig mathematisch mit numerischen Methoden ermittelt werden.


Formen

Die derzeit gebauten Brettrippenschalen können anhand ihrer Geometrie in die folgenden drei Gruppen eingeteilt werden.

- Kuppelschalen: Die Rippen liegen auf den größtmöglichen Kreisen (Größtkreisen) einer Kugeloberfläche. Die Biegung der Bretter erfolgt nur über die schwache Achse. Ein bekanntes Beispiel für eine Kuppelschale ist der Polydôme in Lausanne in der Schweiz.

- Tonnenschalen: Die Rippenachsen liegen auf einer Helix. Die Bretter werden um ihre schwache Achse gebogen sowie um ihre Längsachse verdrillt.

- Freie Membranformen und Translationsflächen: Die geometrischen Linien der Rippenachsen werden mathematisch ermittelt. Herausragendes Beispiel für ein derartiges Schalentragwerk ist das EXPO-Dach in Hannover.


Fazit

Holzbretter sind durch ihre leichte Krümmungsfähigkeit prädestiniert für den Schalenbau.  Es entstehen so spektakuläre Holzbauwerke, deren innere Raumwirkung jeden Besucher fasziniert. Die Herstellung ist im Vergleich zu Stahlbeton- oder Stahlschalen einfacher und damit kostengünstiger. Durch das geringe Eigengewicht sind leichte Flächentragwerke möglich, die im Vergleich zu Stahlbetonschalen kleinere Fundamente erfordern.

Der Vorteil liegt unter anderem darin, dass auch kleine Zimmereibetriebe ohne Spezialkenntnisse und Spezialmaschinen Brettrippenschalen preisgünstig herstellen können. Ein Dach in Brettrippenbauweise kostet nicht mehr als in konventioneller Holzbauweise, ist aber optisch wesentlich ansprechender.

Die Herausforderung besteht allerdings in der Modellierung und Berechnung des komplexen nachgiebigen Zusammenspiels der  einzelnen Brettlagen (das γ-Verfahren scheidet hierzu aus).